Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung 1938-1945

Reichskristalnacht” in Saaz am 10. November 1938, (Regionalmuseum Saaz)

Das Münchener Abkommen und der folgende Anschluss des „Sudetenlandes“ an das Dritte Reich machten Antisemitismus und Judenverfolgung zur staatlichen Politik. Mit der Wehrmacht kamen die Einsatzkommandos des SD (Sicherheitspolizei) und der SS. Aufgrund von Listen, die mit Hilfe der Sudetendeutschen Partei (SdP) erstellt worden waren, wurden zuerst Regimegegner, vor allem Sozialdemokraten, verhaftet. Schon nach wenigen Tagen, noch bevor die Reichsverwaltung im „Reichsgau Sudetenland“ etabliert war, weitete sich der Terror auch auf die Juden aus. Sudetendeutsche Aktivisten verhafteten und misshandelten willkürlich jüdische Mitbürger, zwangen sie zum Schrubben von Gehsteigen, brachen in Privatwohnungen und Geschäfte ein, verwüsteten Friedhöfe. Die sogenannte „Reichskristallnacht“, gut einen Monat nach dem Anschluss, bildete den Höhepunkt dieser Staatspogrome.

 

Saaz 1. April 1939, Reichsminister Alfred Rosenberg,, K. Henlein und der Saazer Museumsdirektor Hermann. Födisch

Saaz war von diesen Ausschreitungen bis zum Novemberpogrom nur in vergleichsweise geringem Maß betroffen. Doch nun wurde es auch hier ernst. Einige Weitsichtige unter den Juden hatten Saaz schon vor Hitlers Einmarsch verlassen. Nun verfehlte der antijüdische Terror seine Wirkung nicht und löste eine Massenflucht aus. Die meisten Juden übersiedelten ins „Protektorat Böhmen und Mähren“, einige retteten sich ins Ausland, ohne dort auf die Dauer vor den Verfolgern sicher zu sein. Wer als Jude nicht freiwillig den Sudetengau verließ, wurde dazu genötigt. Teilweise mussten die geforderten Ausreiseerklärungen binnen weniger Tage unterzeichnet werden. Im neuen „Reichsgau Sudetenland“ waren Ende September 1938 noch 25.000 Juden ansässig, dazu kamen 14.000 Konvertiten und so genannte Mischlinge, die ebenfalls als „Nichtarier“ galten. .

 

Es brauchte einige Zeit, bis das Hitler-Regime seine eigenen administrativen Strukturen in den ehemals tschechoslowakischen Bezirken eingerichtet hatte. Erst danach konnten die Behörden beginnen, den privaten und gewerblichen Besitz von Juden zu registrieren und zu konfiszieren. Dies geschah im Rahmen der sogenannten „Arisierung“, bei der die jüdischen Eigentümer genötigt wurden, ihr Habe deutlich unter Preis an „Arier“ zu verkaufen. Da die meisten jüdischen Eigentümer schon geflüchtet oder vertrieben waren, kam es gar nicht mehr zu diesen Scheinverträgen, sondern die verlassenen Villen und Betriebe wurden behördlich verteilt. Solche Schnäppchen waren begehrt. Man musste nicht Antisemit sein, um aus der Judenverfolgung einen Vorteil zu ziehen. Deutsche Banken steckten ihre Interessensphären hinsichtlich der Übernahme von Filialnetzen und Firmenbeteiligungen ab. Federführend bei diesen Geschäften war das Reichswirtschaftsministerium, das die Arisierungen als Teil seiner Strukturpolitik für das Sudetenland betrieb.

Wenn man die Frage nach der Verantwortung der Deutschböhmen für die Judenverfolgung stellt, muss man feststellen, dass der zeitliche Schwerpunkt des antijüdischen Terrors in jene Monate zwischen

Judentransport na Theresienstadt in Pilsen 1941 , (Staatliche Gedenkstätte Theresienstadt)

August und Dezember 1938 fällt, als die zentrale Reichsverwaltung im Sudetengau noch nicht voll einsatzfähig war. Es waren Sudetendeutsche an den etablierten Schalthebeln lokaler Verwaltungen, auf deren Konto in diesen Tagen die Entrechtung und Vertreibung der jüdischen Bürger ging. Auch die späteren Deportationen in Ghettos und Vernichtungslager wären ohne regionale amtliche Erfüllungsgehilfen nicht möglich gewesen.

Die Sudetendeutschen waren sicher nicht mehr, aber auch nicht weniger als andere Deutsche und Österreicher durch Täterschaft, Beihilfe oder Gleichgültigkeit mitverantwortlich für die Verbrechen des Nazi-Regimes. Zeitzeugen berichten, dass erst die Einführung des „Judensterns“, der ab 1. September 1941 von den Betroffenen getragen werden musste, bei vielen Saazern Befremden hervorrief.

Auch dämmerte einigen, auf welches Regime sie sich da um ihrer „nationalen Freiheit“ willen eingelassen hatten. Der verbrecherische Charakter der Nazi-Herrschaft war kaum noch zu übersehen.

Wie überall, wo Hitlers Schergen Zugriff hatten, begannen auch in Saaz 1942 die Deportationen der letzten jüdischen Mitbürger zuerst in das Ghetto Theresienstadt, dann in ein Vernichtungslager. Nur ganz wenige entgingen diesem Schicksal. Im Mai 1945 erlebten nur etwa 400 Juden aus dem Sudetenland ihre Befreiung.

Quellen: Jörg Osterloh: Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938-1945. München 2006

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