Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland

Anfänge des völkischen und anti-jüdischen Hasses 1895-1938

Einzug der Wehmacht in Saaz am 9. Oktober 1938, (Bundesarchiv)

Seit dem späten 19. Jahrhundert formierte sich in der deutsch-ungarischen Monarchie ein Antisemitismus, der die antijüdisch Agitation mit einer pseudowissenschaftlichen Rassenlehre begründete. In Saaz wurde er von der am 1. Januar 1895 konstituierten Ortsgruppe des „Bundes der Deutschen in Böhmen“ und ihrer am 15. Dezember erstmals erscheinenden „Nationalen Zeitung“ propagiert. Die antiliberalen und anti-tschechischen Straßendemonstrationen dieser deutschnationalen Partei führten in der Folge wiederholt zu tumultartigen Ausschreitungen, deren Ruf bis nach Wien drang. 1898 wurde der Gründer und Schriftleiter der „Nationalen Zeitung“, Edmund Pupper, der Stadt verwiesen.

Noch in den letzten Tagen des 1. Weltkriegs, am 5. Mai 1918, entstand in Österreich-Ungarn eine Deut­sche National­sozialistische Arbeiterpartei (DNSAP), die sich 1919 infolge des Zusammenbruchs der Doppel­monarchie in einen österreichischen und einen tschechoslowakischen Zweig spaltete. Sie war völkisch, anti­kapitalistisch, antikommunistisch und unverhohlen antisemitisch und orientierte sich bald an der reichs­deutschen NSDAP, zu der sie bereits in den zwanziger Jahren Kontakt aufnahm. Anfang der 1930er Jahre bekannte sie sich schließlich offen zur Hitler-Partei. Als im Herbst 1933 ihr Verbot drohte, löste sie sich freiwillig auf.

 

Sudetendeutsches Tunrnfest 1932 in Saaz

Damit waren aber ihre Anhänger nicht verschwunden. Aus der wenige Tage später gegründeten „Sudetendeutsche Heimatfront“, in der die DNSAP-Mitglieder Unterschlupf fanden, wurde 1935 die „Sudetendeutsche Partei“ (SdP) Konrad Henleins. Diese trat zwar zunächst gemäßigt auf und wies den Vorwurf zurück, antisemitisch zu sein, organisierte indes Boykotte nicht nur tschechischer, sondern auch jüdischer Geschäfte und erstellte „schwarze Listen“ jüdischer Mitbürger. Bei den tschechischen Gemeindewahlen vom Mai 1938 wählten über 90 Prozent der Deutschsprachigen die Henlein-Partei.

 

Diese politische Entwicklung war indes nur ein Spiegel der Gesellschaft. Judenfeindschaft und Judenverachtung wurde auch von einflussreichen, mitgliederstarken Vereinen praktiziert. So duldete etwa der Deutsche Turnverband (DTV), dem jeder zwanzigste Sudetendeutsche angehörte, keine Juden als Mitglieder. Wenn auch der Antisemitismus nicht mehrheitsfähig war, so machte ihn seine Tolerierung in der Gesellschaft doch zu einer alltäglichen, scheinbar normalen Erscheinung. Entsprechend wuchs die deutsche Jugend in Böhmen in einem Klima auf, das zunehmend von Hass und Intoleranz geprägt war.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an den Hitler-Staat im März 1938 bekannte sich Henleins Sudetendeutsche Partei offen zum Nationalsozialismus und passte ihre Strukturen an die der reichsdeutschen NSDAP und ihrer militanten Organisationen an.

Hitlerjugend in Saaz {Regionalmuseum Saaz}

Sudetendeutschen Volksjugend (SVJ), später in Hitler-Jugend umbenannt  vor der Pestsäule auf dem Saazer Ringplatz (Regionalmuseum Saaz)

Auch in der „Judenfrage“ bezog sie nun eindeutig Position, indem sie durch eine Satzungsänderung Juden von der Mitgliedschaft in der Partei ausschloss („Arier­paragraph“). Seit März 1938 kam es in den deutsch-böhmischen Gebieten wiederholt zu Demonstrationen und Ausschreitungen gegen Tschechen, Juden und Demokraten. SdP-Funktionäre waren häufig die Anstifter. In einigen Orten forderten sie Juden unter Hinweis auf die Judenverfolgung in Österreich nach dem „Anschluss“ an das Hitler-Reich auf, ihren Besitz zu verkaufen und sich aus dem Staub zu machen. Die SdP wuchs danach bis Juli 1938 auf 1,3Millionen Mitglieder.

Sudetendeutschen Volksjugend (SVJ), später in Hitler-Jugend umbenannt  vor der Pestsäule auf dem Saazer Ringplatz (Regionalmuseum Saaz)

Während der „Sudetenkrise“ im September 1938 erhöhte sich der Druck auf die Juden weiter. Die anti­jüdischen Demonstrationen und Ausschreitungen nahmen jetzt den Charakter einer Kampagne an. Die Polizei erhielt Anweisung, jüdische Häuser und Fabriken zu bewachen. Trotzdem wurden jüdische Geschäfte geplündert. Viele Juden flohen bereits damals nach Innerböhmen, weil sie sich isoliert und schutzlos der Gewalt des Pöbels ausgesetzt sahen. Die ersten Orte erklärten sich stolz als „judenfrei“. Keineswegs alle Sudetendeutsche waren Antisemiten, aber viele nahmen aus gruppenegoistischen Motiven die Verfolgung ihrer jüdischen Nachbarn in Kauf – so sie denn nur vom „tschechischen Joch“ befreit würden!

Quellen: Jörg Osterloh: Nationalsozialistische Judenverfolgung im Reichsgau Sudetenland 1938-1945. München 2006 | Adolf Seifert: Die Stadt Saaz im 19. Jahrhundert. Saaz 1902

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