Der „Ackermann aus Böhmen“: ein Dialog mit dem Judentum?

„Der Ackermann aus Böhmen beklagt den Tod seiner Frau“ (Holzschnitt, vor 1480)

Die Juden bildeten in den böhmischen Königsstädten, zu denen Saaz zählte, große Gemeinden mit erheblicher Wirtschaftskraft. In den Formelsammlungen, die der Saazer Stadtschreiber Johannes aus Tepl anlegte, fallen die vielen Formulare für Geldgeschäfte mit Juden auf. Ja, man hat hinter dem ansehnlichen Reichtum des städtischen Angestellten Johannes von Saaz,  sogar die Teilnahme an solchen Geschäfte vermutet. Das Zusammenleben von Juden und Christen war nicht immer unproblematisch, wie das Prager Progrom von 1389 zeigte. Anderseits gab es Mischehen, wie das Taufzeugnis einer Saazer Jüdin von 1376 belegt, die offensichtlich konvertierte, um einen Christen heiraten zu dürfen. Die Juden sprachen mehrheitlich Deutsch, sie waren Teil der deutschen Kultur in Böhmen. In deutscher Sprache suchten ihre Gelehrten um 1400 das Gespräch mit den Christen, so etwa der hervorragende Prager Rabbiner Avigdor Kara-ben-Isaak in seinem Gedicht „Almekhtige Got eynig un eyn“ (Allmächtiger eineiniger Gott), das gegen das christliche Dreieinigkeitsdogma Stellung bezieht.

Der Germanist Albrecht Hausmann hat jüngst einen Dialogpartner von Avigdor entdeckt, nämlich den erwähnten Saazer Stadtschreiber Johannes, Verfasser des epochalen Werks „Der Ackermann aus Böhmen“. Man hat bisher in Johanns Jugendfreund aus Tepl, den Prager Bürger Peter Rothers einen Juden gesehen, doch Hausmann kann nachweisen, daß diese Vermutung auf einen Lesefehler zurückgeht. Stattdessen glaubt er, daß Johannes von Saaz über Avidgor einen Zugang zur jüdischen Intelligentia von Prag besaß. Für diese nämlich habe er den „Ackermann aus Böhmen“ geschrieben.

Hausmann und anderen vor ihm ist aufgefallen, daß in diesem Streit zwischen dem Ackermann und dem Tod, der vor Gottes Thron geführt wird, jeder Bezug zum Neuen Testament fehlt. Christus komme namentlich nicht vor und somit werde auch das Erlösungswerk Christi nicht in die Diskussion eingebracht.

Ja, sogar bei der Jahresangabe vermeide der Autor  den Bezug auf Christi Geburt, sondern wähle stattdessen die Zählung seit Erschaffung der Welt. Und bei der Übernahme einer Textpassage aus dem „Tractatus de crudelitate mortis“ (Abhandlung über die Grausamkeit des Todes) ersetze er ohne Not den Apostel Paulus durch König Salomon. Hausmann schließt daraus, daß Johann damit eine gewisse Rücksicht nehmen wollte auf sein jüdisches Publikum.

Aber was will, wenn das alles richtig ist, Johann von Saaz den jüdischen Rabbinern und Theologen mitteilen? „Im Ackermann“, schreibt Albrecht Hausmann, „wird der Kern der Auseinandersetzung zwischen Juden und Christen im Mittelalter berührt: Der Tod ist nämlich in der Art, wie er hier dargestellt wird, das Gegenteil von Christus, er ist in allem der Nicht-Christus, und er ist es auch, der mit seiner alttestamentarischen Jahresangabe zum Ausdruck bringt, daß er Christus nicht kennt. Im Ackermann wird vorgeführt, was der Verzicht auf Christus, auf den Erlösergott. für den Menschen bedeutet. Ohne den Gottmenschen steht zwischen Gott und Mensch nur noch das apersonale, amoralische und letztlich destruktive Prinzip des Todes, das am Ende in harschem Widerspruch etwa zu 1. Cor 15, 55 Sieger bleibt.“

Albrecht Hausmann hat damit ein interessantes Thema angeschnitten, das weiterverfolgt werden sollte. Bisher ist allerdings, wie er selbst einräumt, vieles „bloße Spekulation, weil unser Wissen über den Hof Wenzels IV. und über jüdisch-christliche Kontakte in Böhmen um 1400 aus verschiedenen Gründen erstaunlich gering ist.“ Wir müssen also auf weitere Forschungsergebnisse hoffen.

Albrecht Hausmann, Der „Ackermann aus Böhmen“ und die Prager Juden um 1400. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 125, Heft 2 (2003), S. 292-323

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„Der Ackermann aus Böhmen“, Heidelberger Handschrift cpg76, Seite 28-29 (Werkstatt Ludwig Henfflin, Stuttgart um 1470)

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