Einführung

Sehr geehrte Besucher unserer Webseite,

Ich heiße sie herzlich willkommen bei der Ausstellung die „Juden von Saaz“.

Otokar Löbl

Ich bin  in Saaz in den fünfziger Jahren geboren. Seit meiner Umsiedlung nach Deutschland im Jahre 1970, die nicht nur familiäre Gründe hatte, habe ich überwiegend gute Erinnerungen an meine Heimatstadt. Ich betrachte mich als einen Patriot dieser schönen Stadt.

Jeder Mensch, so auch ich, befasst sich ab einem bestimmten Alter mit seiner Herkunft und seinen Wurzeln. Das Schicksal meiner Eltern, genauso wie das des überwiegenden Teiles der Einwohner dieser Stadt, war durchaus bewegt. Zwei Kriege und die anschließende kommunistische Diktatur hinterließen ihre Spuren. Als junger Mensch bekommt man einen Teil davon mit, aber viele Gespräche mit den Eltern darüber gab es eigentlich nicht. Die Gründe dafür sind von Familie zu Familie unterschiedlich.

Das Schicksal der katholischen Verwandtschaft mütterlicherseits waren relativ einfach zu rekonstruieren. Sie wurde aus dem von den Amerikanern besetzten Teil des „Sudetenlandes“ ziemlich undramatisch vertrieben. Schwieriger war es mit den jüdischen Vorfahren meines Vaters. Außer einer Schwester und zwei Cousins, die 1937 Europa rechtzeitig verlassen hatten, war von seiner Familie keine Spur mehr zu finden. Mein Vater starb, als ich siebzehn war. So erfuhr ich nicht viel von ihm, was mir heute sehr leid tut. Seine Mutter – meine Großmutter – ist hier in Saaz auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.

So fing ich erst einmal aus persönlichen Gründen an, über die Juden in Saaz Nachforschungen anzustellen. Dies eröffnete mir eine vergangene, aber völlig neue Welt. Ich betrachte es als meine Pflicht, die Erkenntnisse dieser Suche mit Ihnen zu teilen. Denn wie der bedeutende Historiker Johann Gustav Droysen sagte: „Nicht die Vergangenheiten sind die Geschichte, sondern das Wissen des menschlichen Geistes von ihnen. Und dies Wissen ist die einzige Form, in der die Vergangenheiten als in sich zusammenhängend und bedeutsam, als Geschichte erscheinen.“

Die Geschichte muss mit neuen Erkenntnissen immer wieder neu beleuchtet werden. Am besten drückte dies Prof. PhDr. František Šmahel aus: „Geschichte wird immer neu geschrieben, denn sonst würde sie für uns als Bürger ihren Sinn verlieren. Es kann nämlich sein, ich will es nicht her­aufbeschwören, dass man in der Geschichte und ihren Gestalten wieder nationale Stärke suchen wird und dies ohne Rücksicht auf das Fortschreiten der europäischen Integration. Die Geschichte als Wissenschaft sollte sich aber nicht durch nationale und religiöse Rücksichtsnahmen binden. Auch wenn sie mit ihren Erkenntnissen manchmal verletzt.“

Aus diesem Grund habe ich mich, zusammen mit dem Förderverein der Stadt Saaz|Žatec e. V. und anderen, die sich an dem Projekt „Die Juden von Saaz“ beteiligen, entschlossen, diese Ausstellung durchzuführen. Die Nachforschungen waren nicht einfach. Die meisten Juden aus dem Saazer Land überlebten den Holocaust nicht, die wenigen Überlebenden sind über die ganze Welt verstreut, ihre Nachkommen schwer zu ermitteln. Die erhaltenen Urkunden und schriftlichen Nachweise lagern in den verschiedensten Archiven und wurden teilweise noch nicht gesichtet.

Dank vieler hilfsbereiter Menschen ist es uns gelungen, das Material für diese Ausstellung zusammenzubringen. Bei ihrer Gestaltung habe ich mich auf die Meilensteine der Geschichte der Juden in Saaz konzentriert. Was Sie sehen, sind nur historische Splitter. Ich hoffe dennoch, dass sie Ihnen Kultur und Leben der Saazer Juden näher bringt und damit der Vergangenheit entreißt. Dem diente auch unsere Reise im Frühjahr 2010 nach Israel, wo wir die Erinnerungen einiger noch lebender Saazer Juden mit Videokamera festhalten konnten. Aus diesem Filmmaterial wurde ein Dokumentarfilm erstellt.

Eine Ausstellung „Juden in Saaz“ war erstmals 2010 im Saazer Regionalmuseum zu sehen. Sie wurde jetzt überarbeitet und durch deutsche und englische Übersetzungen ergänzt. Ebenfalls neu ist ein Sonderteil mit der bemerkenswerten Geschichte der Luftbrücke Saaz–Ekron, an der im Sommer 1948 auch Saazer Juden mitwirkten. Über sie wurde der neu gegründeten Staat Israel mit Kriegsmaterial versorgt, das ihm damals im Überlebenskampf half.

Diese Ausstellung will im Sinne von Droysen und Šmahel nicht nur Bildungsinteresse und Nostalgie bedienen. Ich sehe ihre Aufgabe auch darin, den immer noch oder schon wieder vorhandenen Antisemitismus zu bekämpfen, der nicht zuletzt durch Unkenntnis, Vorurteile und Fehlinterpretationen entsteht – wie z. B. des biblischen Auserwähltheitsgedankens, der im modernen jüdisch-theologischen Verständnis Verantwortungsübernahme für das eigene Leben und für die Handlungen den Mitmenschen und Gott gegenüber meint.

Diese Ausstellung soll ein weiterer Schritt des Fördervereins auf dem „Saazer Weg“ der Aufklärung und Versöhnung sein. Ich hoffe, dass sie bei der Überwindung negativer Urteile hinsichtlich der Juden hilft und einen Beitrag leistet zur Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in Saaz. In diesem Sinne: Schalom!

 

 

Otokar Löbl, Kurator der Ausstellung und Vorsitzender des Fördervereins der Stadt Saaz |Žatec e. V.

 

 

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