Das Schicksal der jüdischen Familie Windt /Sommer

Hedwig Wind

Hedwig Wind

Alfred Wind

Alfred Wind

Alfred Windt (1874-1942) und sein Sohn Heinrich (1905-c.1942) betrieben in Saaz einen Großhandel für Hopfen und Brauereibedarf. Ihre Villa in der Holletitzer Strasse 1262 (später Šafarikova, heute Volyňských Čechů?) enthielt neben den Wohnräumen auch ein Büro und einen Salon für den Empfang der inländischen und ausländischen Kunden. Alfred Windt und seine Frau Hedwig (1876-c.1943) hatten auch eine Tochter Martha (*1903), die einen chemietechnischen Abschluß der Deutschen Technischen Hochschule in Prag mit der Note „Sehr gut“ erlangte. Sie heiratete 1934 in Prag den Österreicher jüdischen Glaubens Erwin Sommer. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder, Michael (*1935) und Elisabeth (*1938) hervor.

Erwin Sommer lebte mit Martha zuerst in Wien, kehrten aber 1936 nach Saaz zurück, um dort als Teilhaber in das Geschäft seines Schwiegervaters einzutreten. Doch nach dem „Anschluss“ Österreichs entschied er sich auf Anraten von Freunden, die den drohenden Einmarsch Hitlers auch in die Tschechoslowakei voraussahen, nach Frankreich auszuwandern, wo er mit seiner Familie im Juli 1938 eintraf. Zusammen mit einem Schweizer Teilhaber gründete er in Paris eine Firma für Brauereibedarf. Bei Kriegsbeginn 1939 trat er in die französische Fremdenlegion ein und verbrachte den Krieg als Soldat in Nordafrika. Martha und die Kinder tauchten unter und entkam so der Deportation in ein Vernichtungslager.

Nach der Besetzung des „Sudetenlands“ waren auch die Windts gezwungen, Saaz zu verlassen. Sie übersiedelten nach Prag. Die Villa in der Holletitzer Strasse wurde beschlagnahmt und diente danach Polizei und SS als Kommandantur. Die Hopfenhandelsfirma wurde „arisiert“ und wahrscheinlich von der Saazer Firma Zuleger übernommen. Die Windts waren freilich auch im „Protektorat Böhmen und Mähren“ nicht sicher. Alfred wurde am 6. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er am 22. August achtundsechzigjährig starb. Am 6. Juli kam auch Hedwig nach Theresienstadt. Sie wurde am 15. September 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz abtransportiert. Ihr Sohn Heinrich traf am 4. September 1942 in Theresienstadt ein und wurde vier Tage später in das Vernichtungslager Maly Trostinez bei Minsk (Weißrussland) weitertransportiert.

Erwin und Martha Sommer arbeiteten nach dem Krieg in Frankreich als Büroangestellte. Sie hatten ihre gesamtes Hab und Gut verloren. Der Firmenteilhaber hatte sich unter Ausnutzung der Judenverfolgung Erwins Anteil und Privatvermögen angeeignet, die Privatwohnung war nach Marthas Rückkehr ausgeräumt. Deshalb erwogen sie die Heimkehr in die Tschechoslowakei. Martha fuhr zu diesem Zweck 1946 nach Saaz und Prag. Die Repatriierung wurde ihnen jedoch wegen der österreichischen Staatsbürgerschaft Erwin Sommers und Marthas Bekenntnis zur deutschen Sprachgemeinschaft bei der Volkszählung von 1930 verweigert. Damit gehörten sie auch zu dem Personenkreis, der mit dem Beneš-Dekret vom 25. Oktober 1945 enteignet wurde, und hatten keinen Anspruch auf das Erbe Alfred Windts. Villa und Firma standen unter tschecholowakischer Staatsverwaltung.

L27

So blieben die Sommers in Frankreich. Sohn Michael studierte später in Paris Physik und Chemie. Er arbeitete danach unter anderem im Schweizer Atomforschungsinstitut CERN und bei der Forschungseinrichtung ESRF in Grenoble. Jetzt lebt er im Ruhestand in Paris. Seine Schwester Elisabeth ist nach Israel ausgewandert und wohnt in Tel Aviv. Die Eltern Sommer sind in Frankreich gestorben und beerdigt.

Französische Aufenthaltsgenehmigung für Martha Sommer mit Stempel als Jüdin 1941

Dr. Michael Sommer und Otokar. Löbl, 2010 im Saazer Museum

Quelle: Urkunden, Bescheide, Briefe und Fotos aus dem Besitz der Familie Richter in Leipzig, ausgewertet von Dr. Andreas Kalckhoff.